IT-ADVO-URTEIL OHNE RECHTSKRAFT
Fehlender Beglaubigungsvermerk mit Gerichtssiegel auf IT-ADVO-Versäumnisurteil Warum das Urteil keine Rechtskraft entfalten kann
Urteile müssen nicht nur materiell richtig, sondern auch formell korrekt zugestellt sein, um Rechtswirkung zu entfalten. Im Fall des Versäumnisurteils des Landgerichts Berlin (Az. 2 O 228/25 eV) liegt genau hier ein schwerwiegender Mangel vor:
Die zugestellte „beglaubigte Abschrift“ des Urteils enthält weder einen Hinweis auf die richterliche Unterschrift im Original noch ein Gerichtssiegel oder einen maschinellen Beglaubigungsvermerk.
Ein solcher Mangel führt dazu, dass das Urteil keine Rechtskraft entfalten kann – weder im Hinblick auf Fristbeginn noch hinsichtlich der Vollstreckbarkeit.
Vergleich:
- Letzte Seite des Versäumnisurteils ohne Unterschriftsvermerkt und Gerichtssiegel
- Beglaubigte Abschrift eines Schriftstücks mit korrektem Unterschriftsvermerk und Gerichtssiegel, so wie es sich gehört


Gesetzeslage seit 1. Juli 2014 – § 169 Abs. 3 ZPO
Seit dem 01.07.2014 ist die Beglaubigung gerichtlicher Schriftstücke gesetzlich klar geregelt. Nachzulesen bei Dipl.-Rechtspfleger (FH) Kai Siegfried
https://www.zustellungsvertretung.de/?p=2661
Beglaubigte Abschriften können in Zukunft mit einem maschinellen Beglaubigungsvermerk erstellt werden. In diesem Fall wird mit dem Computer der Beglaubigungsvermerk mit dem Gerichtssiegel ausgedruckt. Eine händische Unterschrift ist nicht erforderlich.
§ 169 Abs. 3 ZPO lautet ab 01.07.2014:
(3) Eine in Papierform zuzustellende Abschrift kann auch durch maschinelle Bearbeitung beglaubigt werden. Anstelle der handschriftlichen Unterzeichnung ist die Abschrift mit dem Gerichtssiegel zu versehen. Dasselbe gilt, wenn eine Abschrift per Telekopie zugestellt wird.
Damit ist eindeutig klargestellt:
- Eine handschriftliche Unterschrift ist nicht erforderlich,
- aber es muss ein maschineller Beglaubigungsvermerk mit Gerichtssiegel vorhanden sein.
Fehlt dieser, ist die Zustellung formell nicht wirksam.
Was die Fachliteratur dazu sagt: Prütting/Gehrlein, ZPO-Kommentar
In Rn. 3 und 4 zu § 169 ZPO erläutert Dr. Wolfram Waldner im anerkannten Kommentar Prütting/Gehrlein, nachzulesen unter https://www.haufe.de/id/kommentar/pruettinggehrlein-zpo-kommentar-zpo-169-zpo-besc-ii-beglaubigte-abschrift-HI16567037.html:
„Eine beglaubigte Abschrift ist eine Zweitschrift […] auf der bescheinigt ist, dass sie mit der Urschrift inhaltlich völlig übereinstimmt. […] Der Beglaubigungsvermerk muss deutlich machen, dass alle Seiten bei der Beglaubigung vorgelegen haben und von ihr umfasst sein sollen.“
Besonders wichtig für diesen Fall:
- Fehlt dieser Hinweis, ist nicht sicher nachvollziehbar, dass das zugestellte Urteil mit dem Original übereinstimmt.
- Das Urteil besteht aus mehreren Blättern – darunter auch Verweise auf eine zentrale Anlage AST 5 –, und keinerlei Beglaubigungsvermerk umfasst den Gesamtumfang.
Und weiter in Rn. 4:
„Ohne Beglaubigung ist die Zustellung unwirksam.“
Der Bundesgerichtshof hat mehrfach bestätigt: Die Zustellung ist formnichtig, wenn wesentliche Anforderungen nicht erfüllt sind – z. B. fehlendes Siegel, fehlender Vermerk zur Unterschrift, oder nicht mitbeglaubigte Anlagen (vgl. BGH NJW 52, 934; NJW 71, 659; NJW 16, 1517 Rz 13).
Zwar kann laut BGH in bestimmten Fällen eine Heilung nach § 189 ZPO in Betracht kommen – etwa bei inhaltlich identischen Abschriften – aber nur dann, wenn keinerlei Zweifel an der Echtheit und Amtlichkeit bestehen. Und genau diese Zweifel sind hier mehr als berechtigt.
Was im vorliegenden Fall konkret fehlt
- Kein maschinelles oder physisches Gerichtssiegel
-
Kein Beglaubigungsvermerk
-
Kein Hinweis auf richterliche Unterschrift im Original
-
Anlage AST 5 fehlt vollständig
-
Keine sichtbare Heftung oder dauerhafte Verbindung mehrseitiger Dokumente
All diese Punkte führen dazu, dass der Empfänger des Urteils nicht mit Sicherheit erkennen kann, dass ihm eine echte gerichtliche Entscheidung zugestellt wurde.
Genau dies ist der Kern von § 169 ZPO: Die Zustellung muss nachvollziehbar dokumentieren, dass es sich um ein echtes, vollständiges und gültiges Urteil handelt.
Wenn ein Urteil nicht nachprüfbar mit dem Original übereinstimmt – verliert es seine rechtliche Wirkung.
Keine Beglaubigung = Keine Wirkung
Die beglaubigte Abschrift ist keine:
- beglaubigte Kopie (nach § 169 Abs. 3 ZPO),
- noch formgültige Zustellung im prozessualen Sinne.
- Ohne Beglaubigung ist die Zustellung unwirksam.
- Ohne wirksame Zustellung beginnt keine Frist.Und ohne Frist kein rechtskräftiges Urteil.
Das vermeintlich durchsetzbare Versäumnisurteil ist nicht mehr als bedrucktes Papier – denn es fehlt der formale Nachweis seiner Echtheit.