IT-ADVO-URTEIL OHNE RECHTKRAFT
Unvollständig, unbeglaubigt, unwirksam: Auch die fehlende Anlage AST 5 macht das IT-ADVO-Urteil unvollstreckbar
Im zweiten Teil unserer Analyse zur rechtlichen Fragwürdigkeit des Versäumnisurteils des Landgerichts Berlin (Az. 2 O 228/25 eV) geht es um ein entscheidendes Detail, das auf den ersten Blick unscheinbar wirkt – aber das gesamte Urteil juristisch ins Leere laufen lässt: Die im Urteil ausdrücklich benannte Anlage ASt 5 – ein Satz von Screenshots der streitgegenständlichen Website – wurde der Antragsgegnerin nicht übermittelt.

Warum ist das wichtig?
Das Urteil verweist im Tenor und in der Begründung auf Anlage ASt 5. Dort soll dokumentiert sein, welche Inhalte konkret untersagt werden. Damit wird ASt 5 Bestandteil der gerichtlichen Verfügung.
Und genau deshalb gilt:
Wenn eine Anlage in einem Urteil namentlich benannt und inhaltlich vorausgesetzt wird, muss sie der zugestellten Abschrift beigefügt, beglaubigt und eindeutig zugeordnet sein. So lautet die ständige Rechtsprechung des BGH (u. a. NJW 2001, 1653; NJW-RR 2012, 179): Fehlt eine benannte Anlage oder ist sie nicht beglaubigt, ist die Zustellung des Urteils formunwirksam.
1. Die Antragsgegnerin erhielt nur das Urteil, ohne Anlage ASt 5.
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- Die Anlage wurde nicht mitübermittelt – auch nicht durch die beauftragte Rechtsanwältin.
- Diese sprach zwar von „anliegenden Schriftstücken“, lieferte aber nur ein Dokument: das Urteil – ohne jede Anlage
2. Die Anlage ASt 5 wurde nicht einmal beglaubigt, wie die Kanzlei Höcker selbst in einem späteren Schreiben an das Gericht feststellt:
„...In der am 27.05.2025 übermittelten beA-Nachricht fehlte ein für eine ordnungsgemäße Zustellung erforderlicher Prüfvermerk. Weiterhin wurde laut übermitteltem Prüfvermerk vom 27.05.2025 nur die beglaubigte Abschrift des Urteils vom Landgericht Berlin II signiert, jedoch
nicht die Anlage. Damit der zu beauftragende Gerichtsvollzieher erken- nen und prüfen kann, dass die der beglaubigten Abschrift beizufügende Anlage AST 5 auch die im Urteil benannte Anlage AST 5 ist, ist eine gesonderte Signatur der Anlage AST 5 erforderlich.“
(Schreiben der Kanzlei Höcker vom 03.06.2025)

3. Inhaltlich ist ASt 5 ohnehin kein rechtsverbindlicher Maßstab, sondern besteht lediglich aus Screenshots, ohne Identifizierbarkeit, Datum, oder beweissichere Dokumentation.
Juristische Folge
- Die Zustellung ist unvollständig.
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Das Urteil ist nicht rechtswirksam, nicht vollstreckbar.
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Die Einspruchsfrist konnte nicht zu laufen beginnen.
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Eine Vollstreckung wäre rechtswidrig.
Selbst wenn das Urteil inhaltlich tragfähig wäre (was es nach Punkt 1 und 2 bereits nicht ist), bleibt es allein aufgrund der fehlenden und nicht beglaubigten Anlage ASt 5 rechtlich unwirksam.
Ein Urteil, das auf eine nicht beigefügte und nicht beglaubigte Anlage verweist, ist wie ein Vertrag mit leeren Seiten. Man weiß nicht, was gelten soll – und niemand kann prüfen, ob die behauptete Pflicht überhaupt existiert.